Meine erste 1. August-Festansprache: Eine Geschichte von mehr als einer Heimat, und die hat nichts mit Vergangenheit und Abendrot zu tun.
Was würden Sie antworten, wenn ich Sie frage, was für Sie Heimat ist? Ist es die Schweiz, ein Ort, vielleicht Dietikon, eine Herkunftsbezeichnung, wie sie in Ihrem Pass festgehalten ist? Oder ist es mehr ein Gefühl wie Zugehörigkeit, Verbundenheit, oder sind es Werte und Traditionen, die Ihnen wichtig sind?
Sie sind sicher hier, weil Sie Ihrer Verbundenheit mit der Schweiz zum Ausdruck bringen, den 1. August in der Gemeinschaft feiern möchten. Für viele andere ist es wohl einfach ein arbeitsfreier Tag, die haben dieses Jahr allerdings Pech…
Ich bin sicher: Jeder einzelne von Ihnen hat eine Vorstellung von Heimat, hinter jeder Vorstellung steckt eine persönliche Geschichte. Heimat ist nichts Allgemeingültiges, es ist ein subjektives Empfinden.
Es ist mir eine ausserordentlich grosse Ehre, heute hier bei Ihnen zu sein und die Festansprache zu halten. Es ist für mich nicht einfach eine Rede unter vielen. Sie hat eine spezielle Bedeutung. Ich möchte mit Ihnen meine persönliche Erfahrung von Heimat teilen. Es ist die Geschichte von mehr als einer Heimat.
Heimat – im Grunde ein altertümliches Wort: Wenn man es nur schon hört: Heimatlieder, Heimatwerk, Heimatvereine – sie triefen von Vergangenheit und Abendrot. Fast ohne zu wollen, besinnt man sich auf seine Wurzeln, wehmütig denkt man daran, wie schön es einmal war.
Heimat ist mehr als ein Wohnort
Meine Wurzeln liegen im Sankt Galler Rheintal. Natürlich bezeichne ich das als meine Heimat. Mein Elternhaus steht dort, Erinnerungen an die Jugendzeit hängen daran. Kehre ich dorthin zurück, fahre ich aber nicht mehr nach Hause, sondern zu Besuch. Trotzdem hat Altstätten, der Ort wo ich aufgewachsen bin, einen emotionalen Wert.
Unterdessen ist seit über zwanzig Jahren Zürich mein Wohnort. Ich schätze diese Stadt aus vielen Gründen: permanenter Wandel, Neues entsteht, Stadt in Bewegung, Freundeskreis, Anonymität. Ich nehme das reichhaltige Angebot in Anspruch, als Gegenleistung zahle ich Steuern. Ich engagiere mich aber nicht in Vereinen oder für Projekte. Deshalb ist Zürich vor allen Dingen Wohnort! Heimat fühlt sich anders an.
Mein Heimatgefühl hat wenig mit Vergangenheit zu tun. Ich komm zu einem ganz anderen Schluss: Für mich hat Heimat hat etwas Lebendiges, ist Ausdruck eines Gestaltungswillens, aktive Teilnahme an Lebensraum im Wandel. Dabei entsteht für mich Identifikation und Zugehörigkeit. Dort, wo ich etwas bewegen und bewirken kann, ist für mich Heimat – wir sind ja keine Bäume, die einfach nur Wurzeln schlagen.
Und genau das hat in Dietikon seinen Anfang genommen: zunächst aus einem beruflichen Bezug, daraus entstand über die Jahre eine echte Leidenschaft und Verbundenheit mit der Region. Im Unterschied zu meinem Wohnort nehme ich im Limmattal aktiv teil, an Anlässen, arbeite mit an Zukunftsvisionen, kenne das Limmattal heute viel besser als das Rheintal. In meiner aktuellen Funktion kann ich mein Engagement aufs Aargauer Limmattal ausdehnen – oder wie ich es bezeichne: mich für die Limmatstadt engagieren!
Das pulsierende Limmattal ist ein Spiegel der Schweiz
Die Verbundenheit geht weit übers Berufliche hinaus: Auf der Dietiker Verwaltung hatte ich eine Büronachbarin, die mir ein grosses Geschenk gemacht hat, nämlich meinen Gottibub, der heute 4 Jahre alt ist, aus vielen anderen Geschäftsbeziehungen sind Freundschaften entstanden, in der Firma Pestalozzi hab ich sogar Spuren zu meiner eignen Familie gefunden. Schreiner, Hausarzt, Zahnarzt, Garagist, Schuhmacher, Physio... sind hier. Zugegeben, in Dietikon sind ein paar Angebotslücken, aber in nächster Umgebung ist alles vorhanden: Schlieren, Wettingen, Spreitenbach. Alles ist nahe beieinander, die Distanzen sind kurz.
Durchs Limmattal pulsiert, was die heutige Schweiz bewegt und zu dem gemacht hat was sie ist: Menschen Autos, Züge, Waren… es widerspiegelt unser Land in mancher Hinsicht: Vielfalt, Multikulturelles, nicht die vier Landessprachen hört man hier am häufigsten, aber ein bunter Mix… Innovation, Dynamik, unterschiedlichste Landschaftsqualitäten – Fluss, Wald, städtische Gebiete, ländlicher Charakter, sogar ein Skilift! In dieser Region fühle ich mich daheim.
Heimat lässt sich neu gewinnen und gestalten
Wenn mir etwas Sorgen macht in Gesprächen mit LimmattalerInnen, so ist es der Eindruck, dass einige an Heimatverlust leiden – auch wenn sie das nicht so benennen. Die rasante Veränderung macht ihnen zu schaffen und lässt sie mit Skepsis in die Zukunft blicken. Heimatgefühl hat eine enorme Kraft, es löst auch negative Emotionen aus wie Widerstand und Besitzansprüche, weil man sich von der Entwicklung überrollt fühlt. Aber die Welt macht heute, was sie in den letzten 724 Jahren seit den alten Eidgenossen noch immer gemacht hat: sie verändert sich. Sich kritisch mit dem Wandel auseinanderzusetzen ist das eine, sich hingegen zu verschliessen oder gar zu verweigern, vermutlich der Anfang von Bitterkeit.
Heimat lässt sich - wie in meinem Fall – auch neu gewinnen. Dazu muss man nicht Standortförderin, Politiker oder Stadtplaner sein. Auch wer schon langer hier lebt, kann einen neuen Blick auf die Umgebung werfen, für drei Dinge, die einem nicht gefallen, findet jeder auch drei chöne Dinge, die neu entstanden sind. Auch die vielen Neuzuzüger haben ein grosses Potenzial, Wurzeln zu schlagen und aus ihrem neuen Wohnort ein Stück Heimat zu machen.
Ich hoffe, dass für Sie, wie für mich, Heimat dort ist, wo sie mitgestalten können, und noch schöner wäre es, wenn das für Sie auch unser lebendiges Limmattal wäre!
Eine Rede soll das Thema erschöpfen, nicht die Zuhörer: In diesem Sinne widme ich meinen persönlichen 1. August 2015 Ihnen allen, Dietikon und dem ganzen Limmattal. Einer Person speziell, mein Gruss geht zur Festrednerin nach Oberengstringen, Yvonne Apyio Brändle-Amolo. Sie hat sogar mit kenianischen Wurzeln im Limmattal eine zweite Heimat gefunden. Auf dass die Region für Sie alle eine alte, aber sich verändernde Heimat bleibt und für viele andere zu einer neuen Heimat wird!
Ein grosses Dankeschön für die Einladung und Organisation an den Stadtverein und ihren Präsidenten Lucas Neff, an Stadtpräsident, Otto Müller, an die Stadtjodler fürs kräftige Rühren im Risotto-Topf und an die Stadtmusik für die flotte musikalische Umrahmung. Last but not least merci an Toni Scheiwiller, den rasenden Reporter, was wäre Dietikon ohne deine schönen Bildaufnahmen! Mehr unter www.d-online.ch und in der Galerie.
Bericht in der Limmattaler Zeitung