Titelbild des Artikel: Nachts an der Limmat

Nachts an der Limmat

Foto: Tim Wettstein

Baden, spazieren, Boot fahren – tagsüber verbringen viele Menschen ihre Zeit an der Limmat. Doch wie sieht es dort nachts aus? Fledermausforscher, Nachtschichtler und Barbesitzer wissen es.

Text: Sara Lisa Schäubli, Fotos: Tim Wettstein

Es wird dunkel an der Limmat. Die Fenster der Hochhäuser spiegeln glühend orange die Abendsonne. Auf der Werdinsel wärmen sich zwei junge Männer ihre Hände an einem Feuer. Der Kies knirscht unter etlichen Rennschuhen und Reifen. Ab und zu kläffen sich zwei Hunde an. Dazwischen, unbemerkt von den meisten, huschen kleine, schwarze Schatten durch die Luft. Fledermäuse fliegen beinahe geräuschlos und orientieren sich anhand der Echos ihrer Ultraschallrufe, die Menschenohren nicht wahrnehmen. Das ist gut so. Ansonsten würde die friedliche Abendstimmung von bis zu 135 Dezibel lauten Fledermausrufen zerschnitten. Das wäre ohrenbetäubender als in der ersten Reihe eines Heavy-Metal-Konzerts. Wie sich das anhört, wenn die Tierchen rufen, lässt sich dank Fledermaushörposten trotzdem erleben. Wer beim Pumpwerk Fischerweg, am linken Limmatufer gegenüber der Werdinsel, auf einen Knopf drückt, schaltet für einige Minuten ein Spezialmikrofon ein. Fliegt in dieser Zeit eine Fledermaus vorbei, hört man ihre Peilrufe. Die besten Chancen dafür hat man bei gutem Wetter zwischen März und Oktober, sowohl in der Morgen- und Abenddämmerung als auch in der Nacht.

Hubert Krättli ist Geschäftsführer der Stiftung Fledermausschutz. Er passt sich ganz seinen Schützlingen an und arbeitet oftmals dann, wenn es dunkel wird – unter anderem auf der Werdinsel.

Fledermaus-Hotspot Werdinsel

Sobald Insekten fliegen, jagen Fledermäuse. Und sobald Fledermäuse jagen, beobachten sie die Fledermausforscher. Einer davon ist Hubert Krättli. Er ist Geschäftsführer der Stiftung Fledermausschutz und passt seinen Alltag – oder besser seine Nacht – dem Rhythmus der Fledermäuse an. «Die meisten Fledermausforscher finden abends keinen Schlaf, das liegt irgendwie in der Natur der Sache», schmunzelt er. Für ein Forschungsprojekt hat er über Jahre viel Zeit an der Limmat verbracht, denn die Werdinsel gilt als Fledermaus-Hotspot. Kurz nach der Insel mündet am rechten Ufer der Bombach in die Limmat. Fürs blosse Auge nichts weiter als ein Rinnsal, für die Wasserfledermäuse aber laut Krättli eine «Lebenslinie in den Wald». Von ihrem Tagesversteck auf dem Käferberg folgen sie zur Dämmerung dem Bach bis an den Fluss, um zu jagen. Das wurde vielen zum Verhängnis. Denn mittendrin kreuzt eine viel befahrene Strasse ihren Weg. Fledermäuse fliegen entlang von Baumwipfeln und Sträuchern. Wenn diese tief wachsen, schiessen die Tiere direkt auf Höhe der Autos raus auf die Strasse und werden überfahren. Um das zu verhindern, hat man die Bäume rund um die Strasse wachsen lassen, sie sind nun um ein Vielfaches höher. So werden die Fledermäuse wie über eine natürliche Brücke in mehreren Metern Höhe über die Strasse gelotst. Dass dank der Luftbrücke weniger Tiere sterben, konnten die Forscherinnen und Forscher in nächtlichen Beobachtungen feststellen.

Nachts das Stromnetz im Blick

Weiter flussabwärts bei Dietikon thront mitten im Wasser die Betriebsführungsstelle der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ). Um halb zehn Uhr abends tritt hier Teamleiter Jörg Riediker jeweils seine Nachtschicht an. Die Betriebsführungsstelle muss 24 Stunden am Tag an 365 Tagen im Jahr besetzt sein. Wenn irgendwo im Kanton Zürich der Strom ausfällt, können Riediker und seine Kollegen sofort reagieren. Nachts ist oftmals das Wetter an einem Stromausfall schuld. Bei Sturm können Äste die Anlagen beschädigen, und ein starker Schneefall drückt schon einmal eine Leitung zu Boden. Deswegen schaut Riediker den Wetterbericht «hoch und runter», wie er sagt. Wer macht welche Prognose? Wie entwickelt sich die Wetterfront? Wenn das Wetter eine stressige Nacht vermuten lässt, fordert er Verstärkung an.

Jörg Riediker arbeitet bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (EKZ) mitten im Fluss in Dietikon. Besonders vor einer Nachtschicht schaut er den Wetterbericht «hoch und runter».

Standardmässig haben pro Nachtschicht fünfzehn Mitarbeiter Pikett. Dabei wird an alle Eventualitäten gedacht. Braucht Riediker mehr Leute, kann er sie über vier verschiedene Kanäle erreichen: Auf ihrem Nachttisch müssen sie Handy und Pager liegen haben, in der Wohnung ein Festnetztelefon und zudem zuhause oder im Auto ein Funkgerät. Das sind Vorsichtsmassnahmen für den Fall, dass sie gerade selbst im vom Stromausfall betroffenen Gebiet schlafen. Die meisten Nächte sind jedoch ruhig. Wer nachts arbeite, müsse sehr diszipliniert sein, weiss Riediker aus Erfahrung. «Manche Nachtschichten gehen wunderbar vorbei, bei anderen will man schon kurz vor Mitternacht in die Tischkante beissen», sagt er. Seine Tipps: Ausgeruht antraben, nachts nur leichte Sachen essen und für den nächsten Tag einen Mittagsschlaf einplanen. Sollte einen die Müdigkeit doch einmal übermannen, helfe auch etwas Sport. Dafür muss er noch nicht einmal das Gebäude verlassen. In einem Seitengang der Betriebsführungsstelle steht nämlich ein Laufband. In der Pause joggt er dort manchmal, bis der Puls hoch und die Müdigkeit verflogen ist.

Tipps für die Nachtschicht: Ausgeruht antraben, nur leichte Sachen essen und Mittagsschlaf einplanen.

Feierabend in der Frischluftbar

Wer der Limmat bis nach Baden folgt, trifft auch Michelle Huber und Michael Rohrbach bei der Arbeit an. Ihre Frischluftbar Triebguet liegt unter freiem Himmel direkt am Fluss. Gäste sitzen auf einer grossen Holzplattform, die über die Limmat ragt. Flankiert wird sie von zwei Brücken, dazwischen zieht die pittoreske Altstadt alle Blicke auf sich. Wie «Ferien in der eigenen Stadt» beschreibt das Paar einen Besuch in ihrer Bar. Genau so oft wie auf Reisen wird auch hier geknipst. «Ich beobachte immer wieder, wie die Leute bei uns vorbeigehen und dann zurückkommen, um ein Foto zu machen», erzählt Michael Rohrbach. Ein beliebtes Motiv ist der Sonnenuntergang über der Altstadtkulisse. Schon den vierzehnten Sommer werden die beiden dieses Jahr die farbigen Tische und Stühle aufstellen, die Bar von der Plastikplane befreien und die Menschen bis in die Abendstunden bewirten. Geöffnet wird nur bei schönem Wetter, was dazu führt, dass sie meist dann arbeiten, wenn andere ihre freie Zeit an der Limmat verbringen. Ein bisschen Freizeitgefühl geniessen sie trotzdem. Zum Beispiel dann, wenn sie abends Konzerte auf ihrem Holzdeck veranstalten. Dann hören selbst die Passanten von der hohen Brücke aus zu. Feierabend ist am Wochenende kurz nach Mitternacht. «In unserem Mitarbeiterhandbuch steht aber, dass das Sitzenbleiben nach Schichtende dazugehört», lacht Michael Rohrbach. Das kann dann eine Stunde dauern oder auch mal bis zum Sonnenaufgang.

Michael Rohrbach und Michelle Huber führen die Badener Frischluftbar Triebguet schon den 14. Sommer.

Der Text erschien in der Mai-Ausgabe 2021 des «36 km» - das Magazin für die Limmatstadt!