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Visionen für den urbanen Raum

In einer sogenannten 10-Minuten-Nachbarschaft lassen sich die Dinge des Alltags zu Fuss erledigen. Foto: Etienne Girardet / Unsplash

Raumentwicklungsforscherin Sibylle Wälty stellt drei Konzepte für zukunftstaugliche und lebenswerte Städte vor.

Text: Robin Schwarz

Wer an die Stadt der Zukunft denkt, erinnert sich womöglich an die legendäre Episode aus «Die Simpsons», in der Springfield daran denkt, sich eine Einschienenbahn zuzulegen. Oder an «The Line», das Konzeptdesign einer 170 Kilometer langen, linienförmigen Stadt mitten in der saudischen Wüste, das in diesem Jahr durch die Weltmedien geisterte. Was die beiden Visionen gemeinsam haben: Sie haben nicht viel mit der Realität zu tun.

Taugliche Zukunftskonzepte sind um einiges funktionaler und weniger schillernd. «Fixfertige, auf alle Städte anwendbare Schema-F-Lösungen für den Städtebau gibt es nämlich nicht», erklärt Dr. Sibylle Wälty. Sie forscht und lehrt am ETH Wohnforum der ETH Zürich zur Siedlungsstruktur für die Mobilität der Zukunft. Stattdessen gebe es verschiedene Konzepte, die je nach Bedürfnissen oder auch geografischen Begebenheiten fast modular ineinandergreifen könnten. Hier kommen drei davon.

1. Die 10-Minuten-Nachbarschaft

Möglichst kurze Wege sind die Zukunft: zehn Minuten zum Einkaufen, zum Coiffeur, ins Restaurant. Alles, was man im Alltagsleben regelmässig braucht, soll bequem zu Fuss erreichbar sein. Das ist die Idee des Konzepts 10-Minuten-Nachbarschaft, das Sibylle Wälty entwickelt hat. Dazu braucht es ein planerisches Umdenken. Damit das Konzept aufgehe, rechnet Wälty vor, brauche es aber Verdichtung: In einem 500-Meter-Radius sollen 10 000 Menschen leben und 5000 Menschen vollbeschäftigt sein.

Ein Vorteil: Lokale Angebote würden intensiver genutzt werden. «Plant man die Limmatstadt nach diesem Konzept, erhält man ein Netzwerk aus gesunden 10-Minuten-Nachbarschaften.» Das würde eine Stadt auch ökonomisch stabiler machen, indem das Versorgungsangebot weniger von Kundschaft aus der weiteren Region abhängig wäre, so wie es aktuell beispielsweise in Baden der Fall ist.

Der Hauptvorteil aber: Wenn der Alltag zu Fuss zu bewältigen ist, verringern sich die Emissionen. Die 10-Minuten-Nachbarschaft ist also im Kern ein Nachhaltigkeitsprojekt und könnte theoretisch sogar, da gut an den öffentlichen Verkehr angebunden, zu einer vorwiegend autofreien Stadt führen.

2. Schwammstadt

Die Stadt der Zukunft fokussiere sich aber nicht nur auf Mobilität, sagt Sibylle Wälty, sondern auch darauf, wie der urbane Boden genutzt werde. Da unsere Städte einen hohen Grad an Versiegelung aufweisen, sind bei Regen Kanalisationssysteme gefordert. «Mit dem Klimawandel werden wir uns an starke Regenfälle gewöhnen müssen. Damit wir Überflutungen entgegenwirken können, kommt das Konzept der ‹Schwammstadt› zum Zug», erklärt Wälty. Das heisst: Fassaden- und Dachbegrünungen oder auch – im Falle geeigneten Bodens – versickerungsfähiges Pflaster machen die Stadt zu einem kühlenden Schwamm. Stadtplätze können als flutbare Freiflächen genutzt werden.

Bepflanzte Fassaden und Dächer wirken wie Schwämme und schützen vor Überflutung. Foto: Victor / Unsplash

3. Smart City

Analog zum Smart-TV oder smarten Foto: Victor/Unsplash Kühlschrank zu Hause gibt es auch Visionen für smarte Städte. Das heisst: Intelligente Technologie soll zu einer effizienteren, nachhaltigeren Stadt führen. So diskutierte man in Wettingen beispielsweise bereits einmal über Bewegungsmelder für die Strassenbeleuchtung, die sich nur einschaltet, wenn sie tatsächlich gebraucht wird. Das würde sowohl Strom sparen als auch der Lichtverschmutzung entgegenwirken.

Auch in der Verwaltung oder Polizei könnten Algorithmen zum Einsatz kommen, um die Stadt sicherer zu machen. «Hier gibt es aber Bedenken bezüglich der Datensicherheit», sagt Wälty. «Das hat man beim Smart-City-Projekt in Toronto, das von der Google-Tochter Sidewalk Labs geplant wurde, gesehen.» In der Bevölkerung regte sich damals grosser Widerstand gegen das Projekt, das dann unter anderem aber an den Finanzen scheiterte.


Raumentwicklung in der Limmatstadt

Andreas Flury, der von 1998 bis 2012 die Gesamtprojektleitung der Glattalbahn innehatte, gibt für die Limmatstadt rund um die LTB auch einige Ratschläge, denn alleine mit neuer Infrastruktur ist ihre Zukunft nicht gesichert. «Die Gemeinden entlang der Limmattalbahn sollten aus meiner Sicht in erster Linie ihre Vorstellungen über die erwünschte räumliche Entwicklung schärfen, ihr Standortmarketing intensivieren und dabei auch immer das Gesamtverkehrssystem im Auge behalten», sagt Flury. Die Limmattalbahn solle mit dem Start nicht etwa zur Ruhe kommen. Es müsse direkt weitergehen. «Auf regionaler Ebene ist ein professionelles Lobbying aufzubauen», ist Flury überzeugt. Das Ziel ist für ihn klar: «Die Limmattalbahn ist mittelfristig bis nach Baden zu verlängern.»